Am Anfang war das Chaos…

… so beginnt der Schöpungsmythos der alten Griechen. Chaos, das ist eine wabernde Masse, ohne oben und unten, ohne hell und dunkel, alles gleichzeitig und nichts konkret. Aus dem Chaos formt sich Gaia, die Erde und Uranos, das alles umfassende Himmelszelt. Jetzt gibt es oben und unten. Und ein Dazwischen, einen Raum für Möglichkeiten. In diesem Raum spielt sich alles weitere ab, alle Kriege, Heldentaten und Irrfahrten, was die Griechen halt so erlebten (oder zumindest erzählten.)

Manchmal habe ich das Gefühl, Gaia und Uranos haben es nicht ganz geschafft, das Chaos zu bannen. Irgendwie trägt es jeder von uns in sich und manchmal bricht es sich Bahn, äußerlich wie innerlich.

Es kommt der Moment, in dem ich das Gefühl habe, etwas ändert sich. Oder es muss geändert werden. Oder es ändert sich ohne, dass ich es will. Ein schmaler Riss durchzieht den Schutzraum des Dazwischen. Ein Ausblick wird sichtbar, ein neues Stück eingefügt oder ein altes herausgenommen. Die Koordinaten schwanken und es dauert eine Weile, bis der Kompass wieder funktioniert und die neue Richtung auf allen Karten eingetragen ist.

Manchmal reist die Hülle gleich an mehreren Stellen. Dann schwankt es ganz schön. Ein einfacher Kurswechsel, eine Anpassung an die neuen Koordinaten reicht dann nicht mehr aus. Jetzt geht es um alles und alles wird in Frage gestellt. Am Ende hat sich vielleicht nicht nur der Kurs geändert, sondern auch die Mannschaft, das Transportmittel und das Ziel.

In solchen Zeiten werde ich schnell grundsätzlich. Ich stelle mir grundlegende Fragen, die mich oft sehr beschäftigen, aber auch helfen den Kurs wieder zu finden, die Mannschaft neu aufzustellen, das Segelschiff gegen eine Karawane auszutauschen und das Ziel immer wieder neu zu definieren.

Was ist wirklich wichtig?

Was brauche ich wirklich?

Was bekommt einen Platz in meinem Leben und was nicht?

Wenn ich mich mit diesen Gedanken auseinandersetze, dann sitze ich früher oder später auch in meinem Zimmer und frage mich: Welche dieser Dinge sind mir wirklich wichtig? Dieses T-Shirt – brauche ich das wirklich? Bekommen alle diese Bücher einen Platz in meinem Leben? Oder vielleicht nicht?

Die Auseinandersetzung mit den Dingen hilft mir, eine neue Richtung zu finden. Immer wieder zu überprüfen, was noch wichtig ist in meinem Leben und seinen Platz behalten soll. Die Spieluhr, die ich zur Taufe geschenkt bekommen habe? Die Teegläser aus dem Marokko Urlaub? Wer bin ich eigentlich? Bin ich jemand, der 10 Paar Ohringe hat und regelmäßig trägt? Ja. Bin ich jemand, der Bücher sammelt und gerne um sich hat? Ja. Bin ich bereit den Bücherregalen den Platz in meinem Zimmer zuzugestehen, den sie gerade einnehmen? Oder kann ich mit dem Platz auch besseres anfangen? Bin ich vielleicht auch jemand, der gerne mal ein Bild an die Wand hängt? Oder ein Band Poster? Ja, auch das. Und die Fotos an den Wänden? Zeigen sie noch die Personen die mir wichtig sind? Oder muss ich neue raussuchen? Alte abhängen?

So kuratiere ich mein Zimmer und gleichzeitig mein Leben. Und unweigerlich komme ich in diesem Prozess an den Punkt, an dem alles aus den Regalen und Schubladen geräumt und in die Hand genommen wurde, irgendwo liegt und wartet. Der Punkt, an dem zwischen Bücherstapeln, Topfpflanzen und Sofakissen das Chaos wabert wie in der griechischen Ursuppe. Am Anfang war das Chaos ohne oben und unten, ohne hell und dunkel, alles gleichzeitig und nichts konkret.

Denn das, genau dieser Punkt, an dem ich am liebsten den staubigen Putzlappen in die Ecke schmeißen würde, weil mir alles zu viel wird, dieser Punkt, ohne Struktur, ohne Ordnung, ohne Klarheit, ist der Anfang. Der Neuanfang.

Und dann schält sich langsam die Zukunft aus dem Chaos. Dann suche ich eine neue Ordnung, einen neuen Platz für alle Dinge, die ich in meinem Leben behalten möchte. Weil ich sie als wirklich wichtig betrachte. Weil sie für mich einen Wert haben oder mindestens einen Nutzen.

Dabei schaffe ich Platz für das, was neu dazu kommt. Oder das, was jetzt in den Vordergrund tritt. Die neue Ordnung kann aus den gleichen Dingen bestehen und doch die Koordinaten neu zusammen würfeln, eine neue Ausrichtung schaffen, neues zulassen.

Und was in der neuen Ordnung keinen Platz findet, fällt raus. In den Tartaros würden die Griechen wohl sagen, die unendliche Leere, die gleichzeitig mit Gaia und Uranos entstand. Bei mir ist das etwas weniger dramatisch: Es wird gespendet, verschenkt oder verkauft.

Ein neuer Himmel und eine neue Erde. Ja, es ist jedes Mal eine kleine persönliche Apokalypse. Aber irgendwann findet alles wieder einen Platz und ruckelt sich zurecht. Es gibt wieder einen Rahmen, einen neuen Raum für Möglichkeiten. Es kann wieder los gehen! Also volle Fahrt vorraus, ins Blaue.

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